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Fußball

 

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Im Kicker vom 17. Mai 2021 kritisierte Oliver Ruhnert, Manager von Union Berlin, die NLZ-Politik des DFB und lobte die Nachwuchsarbeit von Preußen Münster: „Nachwuchsteams von Amateurklubs sind relativ oft stärker als die aus NLZ-Klubs. Wir haben inzwischen eine viel zu hohe Anzahl an Leistungszentren, viele davon existieren nur auf dem Papier. Preußen Münster ist ein Paradebeispiel für einen Verein ohne NLZ, der seit Jahren in allen Altersklassen in der Jugend-Bundesliga spielt – und das richtig gut. Die fallen gemäß DFB-Konzept einfach raus, sind aber viel, viel besser als viele Leistungszentren.“
 

Ausbildung und Junioren-Bundesliga

Ruhnert kritisiert die Idee der Abschaffung der Junioren-Bundesliga zu Gunsten eines Spielbetriebs, an dem nur noch NLZ-Vereine teilnehmen dürfen. Als Ruhnert noch Trainer in Iserlohn war, schmiss die von ihm trainierte A-Jugend den frischgebackenen DFB-Pokalsieger Schalke 04 aus dem Westfalenpokal. Die „Knappen“ wurden von Norbert Elgert trainiert. Ruhnert: „Norbert sagt bis heute, er möchte diese unglaubliche Erfahrung für die Spieler nicht missen. Sie hat vielen geholfen, den nächsten Schritt zu gehen. Diese Symbiose aus Amateuren und kommenden Profis nicht mehr ausreichend darstellen zu können, hielte ich für ein wesentliches Manko.“

Beim Northern Ireland Super Cup 2013 beschwerte sich Paul McGuinness, Trainer der B-Junioren von Manchester United darüber, dass sich seine Jungs auch mit Teams messen mussten, die nicht aus einer Academy stammten. Im Finale besiegte United eine starke Auswahl der nordirischen Grafschaft Tyrone mit 1:0. Das Siegtor fiel erst kurz vor dem Abpfiff. McGuinness beklagte die defensive Ausrichtung und den körperlichen Einsatz des Gegners. Aber sind dies nicht Dinge, mit denen sich seine Jungs auch als Profis auseinandersetzen müssen?

 

Joti Chatzialexiou
Joti Chatzialexiou, Sportlicher Leiter Nationalmannschaften beim DFB. (Foto: imago images)

 

Ein Problem ist zweifellos, dass sich im Nachwuchs zu viele „Ergebnistrainer“ tummeln, was der individuellen Weiterentwicklung von Spielern schadet. Joti Chatzialexiou, beim DFB Sportlicher Leiter der Nationalmannschaften im 11 Freunde-Interview (Ausgabe Mai 2021): „Die Trainer und Verantwortlichen müssen in der Tabelle gut dastehen und dürfen keinesfalls absteigen. Viele Mannschaften parken daher im Spiel den Bus vorm Tor, um mit aller Macht Ergebnisse zu erreichen. Der Fokus liegt also auf der Mannschaftstaktik und nicht auf der Entwicklung des einzelnen Spielers.“

Eintracht Frankfurts neuem Manager Markus Krösche liegt die Nachwuchsarbeit „ausdrücklich am Herzen“, schreibt die Frankfurter Rundschau. Krösche plädiert dafür, „dass der Fokus auf die Entwicklung der Spieler gelegt wird und nicht auf das Ergebnis- im Gegensatz zum Profibereich: Du musst auch mal gewinnen.“

Das ist richtig. Andererseits ist aber auch Ruhnert zuzustimmen, wenn er darauf verweist, „Die U19, umso mehr die U19-Bundesliga, ist Vorbereitung auf den Profifußball. Als Manager eines Profiklubs halte ich fest: Ich möchte Spieler mit einem Verständnis für verschiedene Spielsysteme. Und: Im Profibereich geht es um Ergebnisse. Darauf muss ich die Jungs doch vorbereiten.“

Ruhnert plädiert für ein Kompromiss-Modell: „Man kann drei Halbzeiten spielen und nur zwei werten. Die dritte ist eine Entwicklungs-Halbzeit, da kommen dann die Spieler 12 bis 18 zu Einsätzen. Da geht es um Ausbildung, da bin ich dabei.“

Problematischer als in der U19 ist die Ergebnisorientierung in den Altersklassen U13, U14, U15 und U16. Trainer setzen hier gerne auf frühreife und physisch starke Spieler – auf Kosten von fußballerisch begabteren Spielern, die perspektivisch besser sind. Eine Überdifferenzierung des Ligasystems hat mit dazu beigetragen, dass diese Altersklassen ein Tummelplatz von Ergebnistrainern sind. Das hat bereits deutlich unterhalb der Topligen zur Entstehung eines so riesigen wie absurden Spielermarktes geführt, auf dem 15-Jährige bereits für den vierten oder fünften Amateurverein kicken.
 

Spätentwickler und „flüsternde Talente“

Der Weg eines talentierten und ehrgeizigen Spielers gestaltet sich häufig wie folgt: Amateurverein, DFB-Stützpunkt, dann spätestens mit 15 Jahren in ein NLZ. Das heißt: Wer es mit 15 noch nicht gepackt hat, genauer: von den NLZs begutachtet und für geeignet befunden wurde, ist raus.

Es gibt immer wieder Profis, die nicht diesen Weg gegangen sind. Die übersehen oder falsch bewertet wurden, die vielleicht auch keine Lust darauf hatten, ihre Pubertät in einem NLZ zu verbringen. Aktuelles Beispiel: Robin Gosens, der als A-Junior zunächst noch für die Jugend des Amateurvereins VfL Rhede kickte. Jetzt wird schnell gerufen: ein Einzelfall! Ob das wirklich so ist, wissen wir nicht, da ja spätestens ab der U15 kaum noch außerhalb der NLZs gesichtet wird. Möglicherweise gehen uns jedes Jahr ganz viele Gosens durch die Lappen. Das sind dann diese Amateurspieler, von denen es am Spielfeldrand heißt: „Der hätte aber auch höher spielen können!“

Deshalb ist es richtig, den Nachwuchsspielern in den Amateurklubs einen zweiten Bildungsweg anzubieten. Chatzialexiou erzählt im Interview mit dem Magazin 11 Freunde von neuen Auswahlmannschaften mit Spielern nur aus Amateurklubs, die er in das Wettbewerbssystem integrieren möchte. „Dort können sie sich gegen die Leistungszentren präsentieren. Das ist alles sehr komplex und verzahnt. Den Amateurspielern wird so ein zweiter Weg angeboten, der ihnen persönlich und dem deutschen Fußball insgesamt zugutekommt.“

Chatzialexiou sieht auch das Problem, dass dem Fußball die „flüsternden Talente“ verloren gehen: „Bislang ging die Förderung in den DFB-Stützpunkten nur bis zur U15, sie soll nun bis zur U19 für jene Spieler verlängert werden, die nicht in den Leistungszentren spielen, sondern bei ambitionierten Amateurvereinen.“

Mein Amateurverein hatte das bereits 2004 vorgeschlagen. Der Hintergrund: Wir hatten eine sehr starke U15. Im ersten Jahr C-Junioren schalteten wir Preußen Münster im Kreispokal aus – einige Tage nach dem die Preußen als westdeutscher Meister in dieser Altersklasse Borussia Dortmund geschlagen hatten. Von den 14 Spielern, die bei uns zum Einsatz kamen, gehörten nur vier dem älteren Jahrgang an. Sieben gehörten zum jüngeren Jahrgang, drei waren noch U13 Spieler (bzw. D-Junioren). Aber sechs Akteure spielten (samt und sonders Spieler des jüngeren Jahrgangs oder D-Junioren) im Stützpunkt. Vier der an der Pokalsensation beteiligten Spieler wurden 2004 mit der Stützpunktauswahl des Kreises Münster Westfalenmeister. Aber nur einer von ihnen nahm anschließend das Angebot einen Profiklubs wahr. Der Verband richtete dann für die B-Jugendspieler in Westfalen zwei Stützpunkte ein.
 

Ausbildung, Pandemie und nachhaltige Kaderpolitik

Anders als der alte Rivale Arminia Bielefeld erlag der von Ruhnert gelobte SC Preußen Münster nicht der Versuchung, seine U23 abzuschaffen. Zeitweise war dies en vogue. Man ging davon aus, die Spieler würden es entweder im ersten Seniorenjahr in der Bundesliga packen oder nie.

Die U23 des SCP spielt in der Oberliga Westfalen, also in der fünfthöchsten Klasse. Nur drei von bundesweit 102 Regionalligisten bzw. Viertligisten sind mit ihrer 2. Mannschaft /U23 auf dieser Ebene vertreten, also nur eine Spielklasse unter der jeweiligen „Ersten“. Die anderen beiden Vereine sind Fortuna Köln und Weiche Flensburg. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Oberliga Westfalen stärker ist als die Ligen dieser beiden Vereine. Der Landesverband Westfalen zählt 991.103 Mitglieder in 2.156 Vereinen. Im Mittelrhein sind es 203.240 Mitglieder in 1.095 Vereinen, in Schleswig-Holstein 172.040 in 557. Die Oberliga Westfalen gehört zweifellos zu den stärksten 5. Ligen in Deutschland, vermutlich ist die sogar die stärkste. In der 3. Liga waren in der Saison 2020/21 fünf Vereine mit ihrer „Zweiten“ in der 5. Liga (1860, Ingolstadt, Waldhof, 1. FC Kaiserslautern, VfB Lübeck). Zu Beginn der Saison 2020/21 hatten die Preußen als Drittligaabsteiger wichtige Teile ihres Kaders verloren. Hinzu kam, dass man durch den Wechsel des Sportdirektors den Transfermarkt verspätet betrat. Was gut für die jungen Spieler war. Die Preußen schlossen die Saison als Dritter ab, hinter den Topfavoriten Borussia Dortmund II und Rot-Weiss Essen, und gewannen den Westfalenpokal. Das war deutlich mehr, als man beim Saisonstart erwartet hatte. Ein gutes Drittel der Akteure hatte in den Spielzeiten zuvor in der Regel in der U19 oder U23 gespielt.

Zu den Vereinen, die ihre U23 auflösten, gehörte auch Arminia Bielefeld. Die Ostwestfalen wollen nun eine neue U23 aufbauen, die in der Westfalenliga starten soll. Man will sich in Zukunft wieder stärker als Ausbildungsverein positionieren. Auch aus finanziellen Gründen. Das war wohl mit ein Grund für die Trennung von Uwe Neuhaus und die Verpflichtung von Frank Kramer. Der hatte bei der SpVgg Fürth, bekannt für seine gute Ausbildung, die U19, die „Zweite“ und die Profis trainiert. Des Weiteren die „Zweite“ der TSG Hoffenheim, die Mannschaften U18, U19 und U20 des DFB sowie die U19 von RB Salzburg. Kramer kennt also die älteste Jugendklasse, den Übergang zum Vollprofi und den etablierten Profifußball.

Für Gladbachs Sportdirektor Max Eberl bekommen Nachwuchsarbeit und das Bessermachen von Spielern eine immer größere Bedeutung, auch bedingt durch Corona. Eberl will den Kader verschlanken und „verstärkt auf Eigengewächse setzen“. Ein „bewusster Strategiewechsel, den wir auch so erklären werden. Er kann bedeuten, dass man auch mal einen Schritt zurückgeht, etwas aufbaut, um anschließend wieder etwas Größeres angreifen zu können. (…) In den vergangenen Jahren hatten wir einen Kader entwickelt, der es Talenten aus dem Nachwuchsleistungszentrum schwer gemacht hat, richtig Fuß zu fassen in der Bundesliga. Wir werden zur neuen Saison vier, fünf spannende Spieler dazu nehmen, die ihre Chance bekommen – und das Potenzial haben, sie auch zu nutzen.“ Von Leihgeschäften hält Eberl nicht viel: „Leihen helfen kurzfristig. Die Kosten sind vergleichsweise überschaubar und das Risiko geringer. Aber es ist nicht der Ansatz, um nachhaltige Kaderpolitik zu betreiben und damit auch Geld zu verdienen.“

 

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