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Fußball

 

Choreo der Bayern-Fans vor dem „Finale dahoam“ 2012 gegen Chelsea. Autor: „rayand“

Von Dietrich Schulze-Marmeling – In Frankreich führt das von Katar gesponserte Paris St. Germain nach 32 Spieltagen die Tabelle mit einem Vorsprung von 25 Punkten an. Dies wusste man bereits vor Anpfiff der Saison. In der englischen Premier League gestaltet sich die Situation völlig anders. Dort führt nach 32 Spieltagen Leicester City, das nun wirklich niemand auf der Rechnung hatte. Hingegen ist für das von den Vereinigten Arabischen Emiraten gepäppelte Manchester City der Meisterschaftszug so gut wie abgefahren. City und Lokalrivale United müssen sogar um die Qualifikation zur Champions League zittern – trotz immenser Investitionen in ihre Kader. Liverpool liegt nur auf Platz neun, Roman Abramowitschs Chelsea auf Platz zehn – 25 Punkte hinter Leicester City. Ich weiß nicht, ob ich Leicesters Fußball mag. Aber darum geht es nicht. Es ist einfach eine schöne Geschichte, die dokumentiert, dass es noch einen Rest Gerechtigkeit und Überraschung im Fußball gibt.

Leicester City – das Überraschungsteam der englischen Premier League in der Saison 2015/16
Leicester City – der Überraschungsklub der englischen Premier League in der Saison 2015/16

Leicester City – der Überraschungsklub der englischen Premier League in der Saison 2015/16
Leicester City

Würden City, United und Chelsea von Sportsmen regiert, dann müsste die Reaktion in Richtung Leicester lauten: „Respekt! Ihr habt mit weit weniger Geld besser gearbeitet und folglich mehr erreicht!“ Doch das Gegenteil ist der Fall. Anstatt zu analysieren, was man falsch gemacht hat, ist man beleidigt und überlegt, wie man auch noch den letzten Rest an Unwägbarkeit beseitigen kann. Man will feste Plätze in der Champions League oder eine völlig neue Konstruktion: Eine Europa- oder Weltliga, in der nur die attraktivsten und finanzkräftigsten Klubs mitkicken dürfen.

In Frankreich gestaltet sich die Situation zwar völlig anders als in England, aber die Konsequenz ist identisch. Die nationale Liga wird nur als notweniges Übel auf dem Weg in die Champions League betrachtet.

Setzliste in der Champions League und Freilose im DFB-Pokal?

In der Bundesliga hat Karl-Heinz Rummenigge Mitleid mit dem Ausscheiden von Juventus Turin im Achtelfinale der Champions League. Verständlich, denn 90 Minuten lang sah es so aus, als müsste der deutsche Rekordmeister sich vorzeitig von den europäischen Geldtöpfen verabschieden. Rummenigge fordert eine Setzliste für die Champions League: „Irgendwann muss bei der UEFA darüber nachgedacht werden, ob man dem Schicksal seinen Lauf lässt oder ob man auch mal über Dinge wie eine Setzliste nachdenkt. Das ist in Zukunft nicht mehr tragbar. Wir sprechen über Image, über Geld, über Meriten. Das alles muss irgendwann mal so gemacht werden, wie es im Tennis oder in anderen Sportarten gang und gäbe ist.“ Image, Geld, Meriten – man vermisst das Wort „Sport“. Beim Einzelsport – wie Tennis – mögen Setzlisten sinnvoll sein. Aber der Mannschaftssport, wo kluge Taktik, Teamwork etc. die überlegene individuelle Qualität eines Gegners neutralisieren können, beschädigen Setzlisten die Faszination des Spiels. Dass ein drittklassiger Tennisspieler einen Roger Federer bezwingt, ist komplett unwahrscheinlich. Aber im Fußball kann es sogar passieren, dass Griechenland Europameister wird.

Gleichzeitig wird am DFB-Pokal genagt. Klubs wie der FC Bayern möchten, dass die Teams, die auch auf der europäischen Bühne spielen, künftig entlastet werden, indem sie erst später in den DFB-Pokal einsteigen. Hansi Küpper: „Die erste Hauptrunde des DFB-Pokals ist der einzige garantierte Kontakt des deutschen Amateurwesens mit der Pflichtspielwelt des Profifußballs. Von Gastspielen des BVB oder der Bayern träumen Vereine und Fans in den Niederungen des Fußballs. Der Fußball lebt auch von diesen Träumen.“

In der Saison 2014/15 lautete eine der Paarungen der ersten Hauptrunde Preußen Münster gegen Bayern München. Münster ist so eine Hochburg des Amateur-, Freizeit- und Jugendfußballs. Die Fans des Drittligisten SCP, 1963 Gründungsmitglied der Bundesliga, träumen von einer Rückkehr in die 2. Bundesliga, in der man zuletzt in der Saison 1990/91 spielte. Die DFB-Pokal-Auslosung wurde in einem Großkino übertragen, verfolgt von mehreren hundert Fans. Das bevorstehende Gastspiel der Bayern elektrisierte die Stadt und ihr Umland, war wochenlang das Thema. Bereits in den Spielzeiten zuvor war der DFB-Pokal mit Begegnungen gegen den VfL Wolfsburg, VfL Bochum, Hertha BSC, FC Augsburg und Werder Bremen jeweils das fußballerische Event des Jahres gewesen. Sogar die „Ultras“ des FC Bayern freuten sich auf das ungleiche Duell und kamen mit vier Bussen angereist. Als ich einen ihrer Wortführer nach den Gründen fragte, kam als Antwort: „Münster hat so ein herrlich altmodisches Stadion, wir kennen es von einem Poster aus ‚11 Freunde‘. Die Kurve ist baufällig und nicht überdacht. Es gibt nur Bier und Würstchen, und dafür benötigt man keine Verzehrkarte. Heute Nachmittag soll es auch noch regnen – perfekt! Hier ist Fußball noch wie früher.“

Prominentester Gegner einer Reform ist ausgerechnet (Noch-)Bayern-Trainer Pep Guardiola: „Kleine Mannschaften verdienen es auch, gegen die großen Mannschaften zu kämpfen. In Spanien ist es mit zwei Spielen sehr kompliziert, aber hier ist es mit einem Spiel sehr attraktiv und sehr interessant!“

Finanzielle Risiken minimieren

Die Champions League besaß stets etwas von einem Kompromiss. Am Anfang stand eine Klage von Silvio Berlusconi, dem Besitzer des AC Mailand. Der Unternehmer, der in die Politik ging, um seine Firmen vor dem Bankrott und sich selbst vor dem Zugriff der Justiz zu schützen, forderte auch für seinen Klub mehr Sicherheit. Berlusconi störte am alten Europapokal, dass sein teures Team auf Grund schlechter Tagesform, schlechter Bodenverhältnisse, Fehlentscheidungen des Schiedsrichters oder eines starken Gegners vorzeitig ausscheiden konnte – mit fatalen Folgen für die Refinanzierung seiner gewaltigen Investitionen. Uli Hoeneß dachte nicht viel anders, nachdem sein FC Bayern als Vizemeister in der Saison 1995/96 mit dem UEFA Cup vorlieb nehmen musste. Hoeneß forderte damals für die Bundesliga einen festen zweiten Platz in der Champions League: „Wenn ein zweiter deutscher Vertreter in der Champions League mitspielen darf, sind Borussia Dortmund und wir auf Jahre dabei. Jeder noch so starre Traditionalist muss doch begreifen, dass das Fernsehen eine gewisse Sicherheit der Refinanzierung braucht.“

Nicht nur das Fernsehen, sondern auch der FC Bayern. Denn Champions-League-Vereine verzeichnen nicht nur enorme Einnahmen, sondern auch enorme Ausgaben. Der Kader muss international bestehen und national dafür sorgen, dass die europäische Bühne dauerhaft bespielt wird. Denn die Finanzierung des großen und teuren Ensembles kann nicht allein aus den nationalen Wettbewerben generiert werden. Klubs wie Augsburg, Frankfurt, Hannover oder Freiburg bekommen national Probleme, wenn sie in der Europa League spielen.

In der Bundesliga wird die Kluft weiter wachsen. Der FC Bayern definiert sich längst nicht mehr in einem nationalen Kontext. Es geht – mit Blick auf den neuen TV-Vertrag der Premier League – um die „internationale Konkurrenzfähigkeit“ des Branchenführers – nicht der Bundesliga! Denn deren Attraktivität wird unter der Erfüllung der bayrischen Ansprüche eher leiden. Das „gemeinsame Haus“ Bundesliga, von der auch der FC Bayern einmal sprach, ist nur noch pure Fiktion.

Etikettenschwindel

Mit der Einführung der Champions League war die Idee einer richtigen europäischen Liga nie vom Tisch. Der Name Champions League ist Etikettenschwindel, denn eine Liga ist dieser Wettbewerb nur in der Vorrunde. FIFA und UEFA (und auch der DFB) verlieren seit einigen Monaten in einem atemberaubenden Tempo an Autorität. Dies erhöht die Chance der Stadtstaaten des europäischen Fußballs, die Organisation des Wettkampfes mit Hilfe von TV-Anstalten und anderen externen Investoren nach ihren Interessen zu gestalten.

Dabei werden auch Klubs ins Gespräch kommen, die bislang in diesem Jahrhundert nur selten und in der Regel erfolglos auf der europäischen Bühne spielten. Ajax Amsterdam, Champions-League-Sieger 1995 und Finalist 1996, und die Glasgower „Giganten“ Celtic und Rangers. (1967 wäre es fast zu einem schottischen Doppelsieg im Europapokal gekommen. Celtic gewann den Europapokal der Landesmeister, Rangers unterlag im Europapokal der Pokalsieger dem FC Bayern erst in der Verlängerung.) Alle drei Klubs verfügen über ein großes Vermarktungspotenzial, insbesondere Celtic mit seiner globalen Fan-Gemeinde, deren Basis die irische Diaspora ist. Als der Klub 2003 im Finale des UEFA Cups stand, pilgerten 80.000 nach Sevilla.

Celtic, Rangers und Ajax spielen in Ligen, die, gemessen an ihrer Geschichte und ihrem Fan-Potenzial, zu klein sind und in denen sie nur bescheidene TV-Einnahmen kassieren. Ihre Ligen bereiten nur unzureichend auf die Champions League vor und ziehen auch keine internationalen Stars an, die man – im Gegensatz zu Paris St. Germain – ohnehin nicht bezahlen kann. Celtic und Rangers würden gerne in der englischen Premier League (PL) spielen, was aber nicht nur beim schottischen Verband, sondern auch in der PL auf Ablehnung stößt. Denn: Mit neuen Einnahmen ausgestattet könnten die Glasgower Klubs zu Konkurrenten um die Champions-League-Plätze avancieren. In der Vergangenheit diskutierten Celtic und Rangers auch schon mit den führenden Klubs aus den Niederlanden, Belgien, Skandinavien und Portugal über die Bildung einer atlantischen Liga.

Die Deregulierung der Wettbewerbsstrukturen wird also weitergehen – national wie international.

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