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Fußball

 

Im Streit um die Politik des FC Bayern in der NS-Zeit ist es zu einer dramatischen Wende gekommen. Im Mai 2016 hatten der „Spiegel“ und der Religionsphilosoph Markwart Herzog noch behauptet, der FC Bayern habe seine Juden „schlimmer als die Nazis“ behandelt. Nun berichtet Spiegel.online über den von Herzog entdeckten „Fall Harlacher“. August Harlacher war der NSDAP am 1. Juli 1930 beigetreten. Einige Tage später ließ er sich in den Vorstand des FC Bayern wählen. 1947 stufte ihn die Spruchkammer München als „Mitläufer“ des Nationalsozialismus ein. Dank der Aussagen früherer Vereinskameraden. Harlachers prominentester Fürsprecher war ausgerechnet Kurt Landauer, der aus dem Exil zurückgekehrte jüdische Präsident des Klubs. Im September 1947 verfasste Landauer eine eidestattliche Erklärung. Er habe vom Parteieintritt seines ehemaligen Stellvertreters gewusst, schreibt Landauer. Trotzdem sei „unsere Zusammenarbeit immer eine reibungslose“ gewesen, „seine freundschaftliche Einstellung zu mir immer eine absolut einwandfreie.“ Harlacher habe den Kontakt zu ihm auch nach seinem Rücktritt aufrechterhalten, so Landauer. „Er hat mich immer in schwierigen Fragen, die den Klub angingen, konsultiert. Als ich im Dezember 1938 aus dem Konzentrationslager Dachau entlassen wurde, hat mich Herr Harlacher an einem Sonntagvormittag in meiner Privatwohnung aufgesucht, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen.“

Schulze-Marmeling bleibt skeptisch: „Nichts Neues“

Herzog hatte bereits am Beispiel des 1.FC Kaiserslautern die These aufgestellt, dass nicht alle Nazis schlechte Menschen gewesen seien. Schon gar nicht die in den Reihen der Pfälzer. So schrieb er über die lokale Nazi-Größe Carl Allbrecht, der 1938 „Vereinsführer“ des FCK wurde. „Der FCK ist nicht der einzige Sportverein, der einen NS-Lokalpolitiker als ‚Vereinsführer‘ akzeptiert, weil dies zugleich Schutz vor den Begehrlichkeiten der Sport treibenden Organisationen der NSDAP bietet.“ Laut Herzog war es geradezu ein Akt von Klugheit und Widerstand, wenn man einem NSDAP-Mitglied die Vereinsführung anvertraute. Zur Entlastung Allbrechts zitierte Herzog aus dessen Entnazifizierungsakten: Demnach habe der „Vereinsführer“ auf Mitglieder „keinen politischen Druck“ ausgeübt und sich Juden gegenüber „menschlich“ verhalten.

Der Publizist Dietrich Schulze-Marmeling, der sich eingehend mit der Geschichte der jüdischen Bürger im FC Bayern beschäftigt hat, bleibt skeptisch. „Aussagen aus Entnazifizierungsverfahren sind mit Vorsicht zu genießen  – sowohl im ‚Fall Allbrecht‘ wie im ‚Fall Harlacher. Was davon zu halten ist, hat erst 2016 Niklas Frank beschrieben - in seinem Buch ‚Dunkle Seele, Feiges Maul: Wie skandalös und komisch sich die Deutschen beim Entnazifizieren reinwaschen‘.“ Zwar hätten die Nazis Bayerns ersten Vereinsführer, Siegfried Herrmann, nicht gemocht, wie Dokumente verrieten. Und von 1943 bis 1945 habe dem Klub ein Mann  vorgestanden, der nach dem Krieg bis zu seinem Tod Vorsitzender der Spruchkammer Günzburg in den Entnazifizierungsverfahren gewesen sei. Sicherlich auch Herzogs Aussage richtig, dass es der Klub mit seinen ‚Arierparagrafen“ „nicht eilig“ gehabt hätte, sondern diese erst relativ spät verabschiedete. Schulze-Marmeling warnt trotzdem davor, den FC Bayern voreilig zum einem „Hort des Widerstands“ verklären, oder ihm gar eine „Heldengeschichte“ andichten. Was der „Spiegel“ nun berichte, sei ohnehin „nicht sonderlich neu.“ In der Tat: Dass Landauer auch für ehemalige NSDAP-Mitgliede Partei ergriff, konnte man bereits ausführlich und detailliert in Schulze-Marmelings Buch „Der FC Bayern, seine Juden und die Nazis“ nachlesen – erschienen Anfang Oktober 2017.

Spiegel.online“ berichtet außerdem über einen Vorfall in der Skiabteilung des Klubs. Dort habe eine Frau im Sommer 1935 zwei andere Mitglieder wegen „Verkehrs mit Juden“ bei der Polizei angezeigt. Schulze-Marmeling: „Dass die Skiabteilung ein Hort der ‚Braunen‘ war, wurde bereits in der offiziellen Festschrift von 1950 berichtet – Herzog hat dies allerdings bislang bestritten. Mit Ferdinand Meier stellte die Abteilung auch einen der Dietwarte. Dieser legte nach 1945 Wert darauf, dass er kein Mitläufer gewesen sei, sondern ein überzeugter Nationalsozialist.“ Auch dies ist in Schulze-Marmelings Buch ausführlicher zu lesen.

Dass sich der FC Bayern heute seiner jüdischen Mitglieder erinnere, u.a. mit der Ausstellung „Verehrt, verfolgt, vergessen“, verdient allerdings nach Auffassung des Publizisten „größten Respekt“. Ebenso die Entscheidung des Klubs, dem renommierten Historiker Prof. Dr. Frank Bajohr mit der Aufarbeitung der Geschichte des FC Bayern zu betrauen.

Strickt Herzog an einer „Heldengeschichte“?

Schulze-Marmeling befürchtet ein bisschen, dass Herzog nun seine Betrachtung des 1.FC Kaiserslautern in der NS-Zeit auf den FC Bayern übertragen könnte. Herzog ist „Haushistoriker“ des 1.FC Kaiserslautern und hat über dessen Politik in der NS-Zeit einige Veröffentlichungen getätigt.

Herzog hatte das sogenannte „Ermächtigungsgesetz“ des FC Bayern mit dem „Ermächtigungsgesetz“ der Nazis und Bayern-„Vereinsführer“ Herrmann mit Hitler gleichgesetzt. Über das „Ermächtigungsgesetz“ seiner „Roten Teufel“ hatte er indes geschrieben, Anpassung und Gleichschaltung seien erfolgt, „um die Existenz des Klubs sichern und das sportliche und gesellschaftliche Vereinsleben organisieren zu können“. Schulze-Marmeling: „Bei aller Liebe zum 1.FC Kaiserslautern oder dem FC Bayern – es kann nicht unsere Aufgabe sein, wie ein Anwalt in einem Entnazifizierungsverfahren zu argumentieren!“ Über das Schicksal der Juden im FCK wusste Herzog nur zu berichten: „Mit dem Beginn dieser Angriffe der NSDAP auf die Existenz des FCK (…) enden auch die Spuren des jüdischen Erbes. (…) Nach dem Jahr 1936 lassen sich jedenfalls keine Nachrichten über jüdische Mitglieder ausfindig machen.“ Herzog konnte nicht sagen, „wie der Klub ‚judenfrei‘“ wurde, „durch Ausschluss und / oder Austritt“. Wenn Schulze-Marmeling so etwas hört, steigt ihm die Zornesröte ins Gesicht, und für einen Moment sieht er aus wie Uli Hoeneß, was dem bekennenden BVB-Fan sichtlich unangenehm ist. „Als ob Ausschluss und Austritt nicht eng beieinander lagen. Viele der Klubs, die relativ spät einen ‚Arierparagrafen‘ einführten, wie beispielsweise der FC Bayern, mussten keine Juden mehr ausschließen, da diese den Klub bereits verlassen hatten. Und was die ‚Angriffe‘ auf den FCK anbelangt: Erst dachte ich, dem FCK wäre etwas ganz Schreckliches widerfahren – etwa die komplette Verhaftung seiner Führung. Nein, Herzog meint damit einen vergleichsweise banalen Vorgang: die Bemühungen der Nazis, ‚die relativ erfolglosen Fußballvereine in der Stadt an der Lauter aufzulösen und zu einem kommunalen NS-Großverein zusammenzuschließen‘.“ Derartige Überlegungen habe es auch andernorts gegeben, so auch im Norden Münchens, wo dies den FC Bayern betraf. Schulze-Marmeling: „Nach dem Ende des Nationalsozialismus wurden sie gerne als Beleg dafür zitiert, dass der eigene Verein auch ein bisschen Opfer und widerständig gewesen sei. Ich hoffe nicht, dass Herzog den FC Bayern jetzt auch noch zum Opfer verklärt. Das wäre ein Rückfall in die Geschichtsschreibung der 1950er, die wir doch längst überwunden hatten!“ Einer seriösen Forschung würde mehr dienen, „wenn Herr Herzog und sein Mediendirektor, Dr. Andreas Maibaum, jetzt einfach mal den Mund halten. Die Geschichte ist bei Herrn Bajohr und seinen Mitarbeitern in guten Händen. Da bedarf es keiner Einmischung durch einen Kaiser, König oder Herzog.“

Max Hölzenbein

(Max Hölzenbein ist freier Journalist. Der Sohn eines Minigolfplatz-Besitzers, Blaskapellen-Dirigenten und Schützenkönigs stammt aus Kaufbeuren. Aktuell arbeitet der begeisterte Segler und Wanderer an einem Heimatroman, der im Ostallgäu spielt.)

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