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Orbán und Co. dürfen gegen Schwule, Lesben, Flüchtlinge, Roma etc. hetzen – aber das heißt noch lange nicht, dass man sie hierfür kritisieren und bloßstellen darf!

DFB-Interimspräsident Rainer Koch hat das UEFA-Verbot einer Regenbogen-Beleuchtung der Münchner Allianz Arena wie folgt verteidigt: „Da die Beleuchtung vom Münchner Stadtrat als eine gezielte Aktion gegen die Entscheidung des ungarischen Parlaments begründet worden ist, handelt es sich nicht mehr um ein bloßes Statement im gemeinsamen Kampf gegen jede Form von Diskriminierung, sondern um eine politische Aktion." Da der Verband eine „politisch und religiös neutrale Organisation" sei, habe die UEFA die Anfrage aus der Münchner Politik ablehnen müssen.

 

Leon Goretzka Europameisterschaft Ungarns Herz
Leon Goretzka nach dem so wichtigen 2:2: "Spread Love" in Richtung "Carpathian Brigade". (Foto: imago images)

 

Eigentlich hat man also gar nichts gegen den Regenbogen. Aber die Zurschaustellung der Farben darf nicht in einem direkten Zusammenhang mit einer menschrechtsfeindlichen / diskriminierenden Entscheidung eines Parlaments / einer Regierung stehen. Kurz und schmutzig: Ross und Reiter dürfen nicht genannt werden. Darauf besteht die UEFA, denn sie will auch in Zukunft ungestört mit Autokraten kuscheln. Und die FIFA ebenfalls – siehe Katar. Orbán und Co. dürfen gegen Schwule, Lesben, Flüchtlinge, Roma etc. hetzen – aber das heißt noch lange nicht, dass man sie hierfür kritisieren und bloßstellen darf!

Wenn einige Länder die Olympischen Spiele 1936 mit Verweis auf die Nürnberger Rassegesetze vom 15. September 1935 boykottiert hätten, wäre das für die UEFA / für Koch in Ordnung gewesen? Vermutlich nicht. Schließlich hätte es sich um eine gezielte Aktion gegen eine einstimmige Entscheidung des Reichstags gehandelt.
 

Ungarn: Politik ist Fußball

Natürlich wäre die bunte Beleuchtung der Allianz Arena eine politische Aktion gewesen. So wie Viktor Orbáns tagtägliche Instrumentalisierung des Fußballs eine politische Aktion ist. Der Einsatz für Demokratie, gegen Diskriminierung und für Menschenrechte ist stets politisch. Es sind Politiker, die diskriminieren und Menschenrechte verletzen. Wie soll da der Widerstand nicht politisch sein?

Die Politik von Orbáns Fidesz-Partei steht auf fünf Säulen: Nationalismus, christlicher Fundamentalismus (einschließlich Homophobie), Rassismus, Korruption und Fußball. Orbáns Regierung hat immense Summen in den heimischen Fußball investiert. Viele Klubs im Land werden von Orbán-/Fidesz-Günstlingen geführt. Allen voran Ferencvaros Budapest. Boss des Klubs ist Fidesz-Vizepräsident Gábor Kubatov. FTC-Fans lassen SS-Kriegsverbrecher hochleben, gegnerische Spieler werden als „Judenschweine“ beschimpft. Als Demonstranten einmal die Fidesz-Parteizentrale belagerten, ließ Kubatov den Sicherheitsdienst von FTC von der Leine, zu dem gerichtlich verurteilte Gewalttäter – darunter ein Mörder – gehören. Die Schläger hatte Kubatov aus dem Milieu der FTC-Ultras rekrutiert. Anschließend dachte Kubatov über eine paramilitärische FTC-Garde nach. Aber das alles ist natürlich nicht politisch …

Ungarns Außenminister Peter Szijjártó kritisierte den Antrag der Stadt München für eine regenbogenfarbige Beleuchtung der Allianz Arena mit den Worten: „Es ist äußerst schädlich und gefährlich, Sport und Politik zu vermischen.“ Ein Witz. In keinem anderen Land Europas ist die Regierungspolitik so eng mit dem Fußball verwoben wie in Ungarn.

Wenn Koch und die UEFA es mit der „politischen Neutralität“ ernst meinten, dann müssten sie die ungarische Regierung und den ungarischen Verband tagtäglich attackieren. Oder zumindest deutlich machen: Kein Finale in Budapest! Denn Orbáns Angebot ist ja politisch motiviert.

Das Gerede vom „politisch neutralen“ Fußball ist Unsinn und nutzt in der Regel nur Autokraten und Diktatoren. Ganz abgesehen davon, dass es zutiefst unanständig ist, politische Neutralität einzuklagen, wo Menschenrechte verletzt werden: Jedes Mitglied der UEFA-Exekutive ist mindestens so politisch wie ich. Wenn Funktionäre den Schulterschluss mit Ungarn, Russland, Aserbaidschan, Katar etc. suchen, ist das stets eine politische Entscheidung und Aktion. Es ist ein „Ja“ zum Sportswashing. Es ist ein „Ja“ zur Politik der genannten Länder, ihre Regime mit Hilfe des Fußballs zu stabilisieren, oder mit Hilfe des Fußballs Stärke und Überlegenheit zu demonstrieren. Im konkreten Fall der EM geht es darum, die liberalen Kräfte im Westen vorzuführen. „Wir können etwas, was ihr nicht könnt! Warum wir das können? Weil wir eine Autokratie sind!“
 

Kurzes Gedächtnis

Beim Protest gegen die UEFA war auch Markus Söder dabei. Doch sollten wir nicht vergessen, welche Rolle die CSU beim Aufstieg von Viktor Orbán und seiner Fidesz-Partei gespielt hat. Orbán wurde jahrelang hofiert. Seinen Wahlsiegen wurde lautstark applaudiert. 2018 erschien der Autokrat auf der Klausurtagung der CSU. Der damalige CSU-Parteichef Horst Seehofer verbündete sich mit Orbán gegen die Kanzlerin und pries ihn als langjährigen Freund. Orbán stehe „zweifelsfrei auf rechtsstaatlichem Boden“. Zu diesem Zeitpunkt war die Demontage der ungarischen Demokratie bereits voll im Gange, aber dies war für Seehofer eben so wenig ein Problem wie Orbáns antisemitische Anti-Soros-Wahlkämpfe. Auch dass der Kleptomane sich und einer neuen Generation von Oligarchen mit Staatsaufträgen und EU-Geldern (!) die Taschen vollstopfte, war kein Thema.

Alexander Dobrindt, der sich nun ebenfalls gegen den Regegenbogen-Entscheid der UEFA stellte, träumte von einer „konservativen Revolution“ sowie Orbánisierung Deutschlands und Europas. Orbáns Wahlsiege seien das Resultat einer „klassisch bürgerlich-konservativen“ Politik. „Klassisch bürgerlich“ hieß in der Praxis: Zerschlagung der Pressefreiheit, Verbreitung von Verschwörungstheorien, Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und Korruption.
 

Kampagnen als Sichtschutz fürs Kuscheln

Wenn FIFA und UEFA ein Interesse an Menschenrechten heucheln, geht es in erster Linie um den Aufbau eines Sichtschutzes, hinter dem sich völlig andere Dinge tun. Seitdem UEFA und FIFA sich den Menschenrechten „widmen“ und gegen Diskriminierung „agitieren“, ist die Zusammenarbeit mit autoritären Regimen noch enger geworden. Zufall? Mitnichten! Wer sich von Gazprom, Qatar Airways, Alipay und Tiktok alimentieren lässt, beschränkt seine demokratische Beinfreiheit.

Viele der wohlfeil daher kommenden Kampagnen kann man in die Tonne kloppen. Rassismus und Homophobie stören das Geschäft. Also muss man etwas gegen Rassismus unternehmen. Aber nur bis zu dem Punkt, an dem ein autokratischer Partner nicht verstört wird. Dies gilt auch für die Menschenrechte allgemein, wie sich am Beispiel der WM in Katar beobachten lässt.

Die Verbände richten Ethikkommissionen ein. Aber wenn diese ihren Auftrag ernst nehmen, werden sie aufgelöst oder neu besetzt – siehe FIFA (Infantino), siehe DFB (Koch). Die FIFA unterhält eine unabhängige Beratungsgruppe in Sachen Menschenrechte. Wobei das ein bisschen Quatsch ist. Entweder ist es ein unabhängiger Rat, oder es ist ein FIFA-Rat. Wenn man Sylvia Schenk, die 2017 Mitglied der FIFA-Beratungsgruppe wurde, lauscht, bekommt man den Eindruck, dass dessen Hauptaufgabe darin besteht, irgendwie dafür zu sorgen, dass man die Vergabe von Turnieren an autokratisch oder diktatorisch regierte Ländern rechtfertigen kann. Würde dieser Rat Zähne zeigen, würde Gianni Infantino mit ihm nicht anders verfahren als mit der FIFA-Ethikkommission. Als Infantino die FIFA übernahm, mussten die renommierten Kontrolleure des Verbandes, der deutsche Jurist Hans-Joachim Eckert und seine Schweizer Kollegen Borbély und Scala abtreten. Seither ist es ruhig geworden um die vermeintliche Kontrollinstanz.

Ein schwaches Bild gibt aber auch die Politik ab. Viel zu lange ließ man FIFA und UEFA ungestört gewähren. Kein Wunder, wenn die Verbandsbosse glauben, sie seien die eigentlichen Herrscher Europas und der Welt. Wo war Berlin, als die UEFA die Austragungsorte erpresste und Dublin und Bilbao für ihre Anti-Corona-Politik bestrafte? Wenn die UEFA der Stadt München diktieren kann, in welchen Farben diese die Allianz Arena beleuchtet, ist etwas nicht in Ordnung. Da muss etwas wieder geradegerückt werden.
 

Brundage, Samaranch, Havelange und Co.

Internationale Sportfunktionäre waren schon immer machtgeil und dem autokratischen Denken zugeneigt. Faschisten lieben das Monumentale und Gigantische sowie die grenzenlose Macht. Internationale Sportfunktionäre ebenfalls. So verwundert es nicht, dass immer wieder erklärte Faschisten an der Spitze internationaler Sportverbände standen.

Avery Brundage, von 1952 bis 1972 Chef des IOC, war ein Rassist und Antisemit. Seine Lieblingsolympiade? Natürlich Berlin 1936. Der korrupte Juan Antonio Samaranch, IOC-Präsident von 1980 bis 2001, diente dem mörderischen Franco-Regime als Sportminister. Samaranch: „Die Regierung von Francisco Franco bedeutete die längste Periode von Wohlstand und Frieden, die unser Land seit Jahrhunderten erlebt hat.“ Nach der Demokratisierung Spaniens wurde das IOC für ihn zum Ersatz für den faschistischen Staat.

Automobilsport-Funktionär Bernie Ecclestone findet Hitler prima. Der habe nicht nur geredet, sondern auch gehandelt – anders als die heutigen Politiker. Max Mosley, Sohn des legendären britischen Faschistenführers Oswald Mosley und von 1993 bis 2009 Präsident des Welt-Automobilverbands FIA, liebte Sexorgien mit Prostituierten in Nazi-Uniformen. Korrumpel Joao Havelange, von 1974 bis 1998 Boss der FIFA, war ein Freund lateinamerikanischer Diktatoren. 1982 kürte der Brasilianer Carlos Lacoste, Mitglied der argentinischen Militärjunta, zum Vizepräsidenten der FIFA. Nach dem Sturz der Militärs lebte Lacoste quasi im FIFA-Asyl. Auf die Idee einer Funktionärskarriere hatten Havelange die Olympischen Sommerspiele 1936 gebracht. Havelange reiste als Mitglied des brasilianischen Wasserballteams nach Berlin und war beeindruckt von der Gastfreundschaft und dem Organisationstalent des NS-Regimes.

Die Nähe von internationalen Sportfunktionären und Autokraten / Diktatoren – historisch wie aktuell –  ist ein weites Feld und einer eingehenderen Untersuchung wert.
 

Goretzka, Neuer und der Regenbogen

Zum Schluss noch Applaus für die Mannschaft. Nicht für ihr Spiel. Als Leon Goretzka kurz vor Schluss das 2:2 erzielte, lief er auf den ungarischen Fanblock hinter dem Tor von Péter Gulácsi und bildete aus seinen Händen ein Herz. Sein Blick ging starr in die Menge. Auch als Kevin Volland und Joshua Kimmich ihren Teamkollegen jubelnd umrissen, hatte Goretzka weiter den Blick auf die die "Carpathian Brigade", eine paramilitärische rechtsextreme Vereinigung, die den homophoben Kurs des Orbán-Regimes unterstützt. Nach dem Spiel postete Goretzka das Bild vom Torjubel und kommentierte es mit: „Spread Love". Versehen waren diese Worte mit einer Regenbogenfahne. Und Manuel Neuer sorgte beim anschließenden Interview dafür, dass seine regenbogenfarbige Kapitänsbinde auch im Bild blieb, als er sein Trikot bereits ausgezogen hatte.

Als sich die DFB-Elf im Rahmen des ersten Qualifikationsspiels für die WM 2022 in Katar vor dem Spiel in selbstgemalten „Human Rights“-Shirts auflief, löste dies unterschiedliche Reaktionen aus. Für einige Fans war dies viel zu wenig, weil Katar nicht explizit erwähnt wurde. Dabei hatte Leon Goretzka den Anlass der Aktion klar benannt: „Wir haben natürlich die WM vor uns. Darüber wird immer wieder diskutiert. Das möchten wir der Gesellschaft klarmachen, dass wir das nicht ignorieren. Dass wir ganz klar sagen, was für Bedingungen da herrschen müssen.“ Trotzdem wurde die Aktion als oberflächlich und Marketing gebrandmarkt. Für die FIFA-Menschenrechtsberaterin Sylvia Schenk ging die Aktion hingegen viel zu weit. Schenk war empört. Warum? Man würde unweigerlich die Arbeitsverhältnisse in Katar assoziieren, aber diese gäben keinen Anlass zum Protest…
 

Was hat man sich in den 1970ern (WM in Argentinien) und 1980ern nach Spielern wie Goretzka gesehnt…

Die Wahrheit ist: In dieser Mannschaft sind eine Reihe guter Jungs, die über den Tellerrand des Spiels hinausdenken, politisch mündig sind, die sich ernsthaft mit gesellschaftlichen Problemen beschäftigen und sich auch entsprechend engagieren. Was im Übrigen nicht nur für die deutsche Nationalelf gilt. Nicht nur bei den Fans, auch bei den Spielern hat sich etwas geändert. Wobei diese auch in der Vergangenheit bei weitem nicht so ignorant waren, wie es ihnen unterstellt wurde.

 

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