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Fußball

 

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Die deutsche Nationalelf ist vor den Länderspielen gegen Island und gegen Rumänien Ende März mit symbolischen Aktionen für die Menschenrechte eingetreten. Die T-Shirt-Performance hat ein sehr geteiltes Echo gefunden. Dietrich Schulze-Marmeling ordnet ein, zeigt spannende weitere Aspekte und kommt zu dem Schluss: Trotz allem ein erster Punktsieg für die Boykott-Bewegung.
 

Vor der WM 2018 in Russland sorgte ein Foto der Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Regierungschef Recep Erdogan für helle Aufregung. Fotosession mit einem Autokraten, der auf den Menschenrechten herumtrampelt? Geht gar nicht! Für viele Kritiker der „türkisch-stämmigen“ Nationalspieler bestand das größte Problem allerdings darin, dass der Autokrat ein Türke und somit fremdes Staatsoberhaupt war. Die Spieler wurden quasi des Landesverrats bezichtigt.

Am Wochenende des WM-Finales forderte der damalige DFB-Präsident Reinhard Grindel in einem Interview, Özil müsse sich zu Erdogan äußern. Grindel begründete dies mit einem „veränderten Resonanzboden für das Thema Integration“, benutzte somit die rassistische Stimmung im Land als Druckmittel.

Es war das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Nationalspieler öffentlich von der Führung seines Verbandes zu einem politischen Statement aufgefordert wurde. Bis dahin galt mehr oder weniger unausgesprochen, dass sich die Spieler politischer Äußerungen enthalten sollen. Genauer: Sie sollten sich nur dann politisch äußern, wenn ihnen die Verbände hierzu den Text vorlegten.

Wenige Wochen später erklärte Özil seinen Rücktritt aus der Nationalelf, verbunden mit heftigen Angriffen gegen Grindel. Das Präsidium des DFB reagierte mit einer Erklärung, in der es u.a. hieß, „dass die Beachtung der im Grundgesetz verankerten Menschenrechte, das Eintreten für Meinungs- und Pressefreiheit sowie Respekt, Toleranz und Fair Play, ein Bekenntnis zu diesen Grundwerten (…) für jede Spielerin und für jeden Spieler erforderlich (sei), die für Deutschland Fußball spielen.“
 

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25. März 2021 in Duisburg, WM-Qualifikationsspiel gegen Island: "Human Rights", Menschenrechte, ergibt der Schriftzug auf den Shirts. (Foto: imago images)


Zweierlei Maß

Was bedeutet dieser Satz nun bezüglich der WM 2022 in Katar? Bis dahin galt in der Politik wie im Fußball: Man kann sich hierzulande als Demokrat ausgeben und trotzdem eine ausländische Autokratie und Diktatur unterstützen. Besonders wild trieb es hier Franz-Josef Strauß, der ehemalige bayerische Ministerpräsident, der u.a. ein Fan des chilenischen Diktators Augusto Pinochet war. Der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnete Wladimir Putin als „lupenreinen Demokraten“ und war als Ehrengast dabei, als Recep Erdogan das Präsidialsystem einführte, das die parlamentarische Demokratie in der Türkei weitgehend außer Kraft setzte. Und während Özil für seine Erdogan-Sympathien gescholten wurde, stabilisierte Angela Merkels Bundesregierung dessen Herrschaft mit Waffen und Geld.

Dass Lothar Matthäus, Rekordnationalspieler und Ehrenspielführer der Nationalelf, wiederholt durch eine notorische Nähe zu Diktatoren und Autokraten auffiel, war für den DFB nie ein Thema. Foto-Session mit Viktor Orban? Für Matthäus und den DFB kein Problem. Ein Propagandaspiel für den tschetschenischen Tyrannen Ramsan Achmatowitsch Kadyrow, dem schwerste Verletzungen der Menschenrechte wie die brutale Folterung von Oppositionellen vorgeworfen werden, bei denen er gerne selber Hand anlegt? Für Matthäus und den DFB kein Problem. Darauf angesprochen, erklärte Matthäus noch in Grosny lapidar, dass Fußball gar nichts mit Politik zu tun habe.

Während der WM in Russland nahm Matthäus mit anderen Legenden wie Peter Schmeichel, Diego Forlan und Jorge Campos an einem Empfang bei Wladimir Putin teil. Matthäus und Co. überreichten Putin ein Trikot, das mit den Namen des Autokraten und der Nummer „11“ beflockt war. Deutschlands Ehrenspielführer legte dabei seinen Arm freundschaftlich um Putins Taille und sülzte ihm ins Ohr: „Dies ist einer der besten World Cups, den ich in den vergangenen 40 Jahren gesehen habe, vielen Dank für diesen World Cup, Mister President.“

Im „Fall Özil“ ging es dem DFB nicht nur um „Menschenrechte, das Eintreten für Meinungs- und Pressefreiheit sowie Respekt, Toleranz und Fair Play“ im eigenen Land, sondern auch in der Türkei bzw. weltweit. Bezüglich Katar konnte und kann dies nur heißen: Während des Turniers gibt es keine Fotos mit katarischen Regierungsoffiziellen! Die Mannschaft gibt geschlossen ein Statement ab, in dem sie die Verletzung der Menschenrechte und den Mangel an Demokratie in Katar anprangert!
 

Nationalspieler für Human Rights

Als die DFB-Elf am 25. März 2021 in Duisburg ihr erstes WM-Qualifikationsspiel gegen Island bestritt, zogen die elf Spieler, die Joachim Löw in die Startelf beordert hatte, kurz nach der Hymne ihre Trainingsjacken aus und präsentierten jeweils einen großen Buchstaben auf ihrem Shirt darunter. Diese Buchstaben ergaben den Begriff "Human Rights", Menschenrechte also.

Dass die deutschen Nationalspieler das Kind – also: Katar – nicht beim Namen nannten, stieß vielfach auf Kritik. Jan Göbel kommentierte auf Spiegel.online: „Die Aktion war so vorsichtig wie möglich. Sie nahm zunächst überhaupt keinen Bezug auf den nächsten WM-Gastgeber. Von Katar selbst war zumindest auf den T-Shirts nichts zu lesen. Der Rahmen war festgelegt, kein Wort zu viel, nur das Nötigste.“ Als RTL-Reporterin Laura Wontorra von Leon Goretzka wissen wollte, was genau die Aktion bedeute, eierte dieser etwas herum: „Es ist ja ziemlich eindeutig gewesen, ähem. Wir haben, einfach in der Mannschaft darüber gesprochen. Wir haben natürlich auch die WM vor uns, da wird immer wieder drüber diskutiert. Das möchten wir auch der Gesellschaft klarmachen, dass wir das nicht, also dass wir das nicht ignorieren, sondern dass wir ganz klar sagen, was für Bedingungen da herrschen müssen, und das haben wir heute auch versucht von unserer Seite klarzumachen.“

In einigen Kommentaren – vorwiegend in den sozialen Medien – wurde den Spielern eine mangelhafte Glaubwürdigkeit unterstellt. Auch wenn der Verdacht nahe liegt, dass ihnen „von oben“ Zurückhaltung souffliert wurde: Die Prügel, die die Spieler einsteckten, waren zu heftig. Problematisch war auch, dass man außer einer Unterstützung der Boykott-Forderung nichts gelten ließ: dass das Verhalten der Spieler allein daran gemessen wurde, ob sie diese unterstützten oder nicht. Verglichen mit der performance, die die deutsche Nationalmannschaft vor der WM 1978 ablieferte, als das Turnier im von einer brutalen Militärjunta regierten Argentinien stattfand, war ihre Aktion eine eindeutige Verbesserung. Manchmal bediente die Kritik auch das alte Klischee vom unmündigen und an gesellschaftspolitischen Problemen desinteressierten Kicker. Und war damit aus der Zeit gefallen. Wohl noch nie war die Zahl gesellschaftspolitisch interessierter Profis so groß wie heute. Aber dass es einem 25-Jährigen schwer fällt, den Boykott einer WM zu fordern, Höhepunkt einer Spielerkarriere und vielleicht die einzige, die er mitmachen kann, ist nachvollziehbar. Die performance der Spieler ist bislang auch besser als die vieler Funktionäre.
 

Kimmichs Kritik und ein Punktsieg

Joshua Kimmich entgegnete den Kritikern und Befürwortern eines Boykotts: „Für einen Boykott ist es ungefähr zehn Jahre zu spät. Die Gedanken hätte man sich machen müssen als die WM an Katar vergeben wurde. Jetzt steht die WM direkt vor der Tür, jetzt geht es darum, dass wir die Chance und unsere Strahlkraft nutzen, auf die Dinge hinzuweisen. Wir als Fußballer sind da in der Verantwortung." Kimmich hätte den DFB fragen sollen, warum man im Dezember 2010 keinen Gedanken an die Menschenrechtsverletzungen im Emirat verschwendet und wie der Vertreter des DFB im Exekutivkomitee abgestimmt hatte. Die FIFA und der DFB hatten anschließend viele Jahre Zeit, um den Zuschlag an Katar zu überdenken und zu korrigieren. Des Weiteren könnte Kimmich den Verband fragen, warum dieser zunächst zur Lage der Menschenrechte in Katar schwieg – wie auch sein Arbeitgeber FC Bayern.

Und: Hätten er und seinen Spielkameraden den Pinsel auch ohne die wachsende Pro-Boykott-Stimmung geschwungen? Als der FC Bayern im Februar zur Klub-WM nach Doha flog, war das Thema noch ziemlich out. By the way: So eine T-Shirt-Aktion beim Finale in Doha – das wär’s gewesen. Ob Uli Hoeneß dann auch gesagt hätte: „Ganz im Sinne des Vereins!“? Wohl kaum.

Aber wie bereits gesagt: Die Kritik an den Nationalspielern war übertrieben. Die T-Shirt-Aktion markierte einen gar nicht so kleinen ersten Punktsieg für die Pro-Boykott-Kampagne, weshalb man die Sache etwas entspannter sehen sollte. Dieser Kampagne geht es nicht zuletzt um Folgendes: „Unser Ziel ist es, das lukrative Zusammenspiel zwischen FIFA, Sponsoren und autokratischen Regimen zu stören. Es darf für sie nicht mehr attraktiv sein, die WM auf diese pervertierte Art zu präsentieren und den Fußball weiter zu ruinieren." (Aufruf der Kampagne #boycottqatar2022) Hierfür benötigt man Bündnispartner.

Anstatt die Aktion der Nationalspieler nur in Bausch und Bogen zu verdammen, sollten wir auf Weiterentwicklung und Konkretisierung drängen. Das nächste Mal unter Nennung des Anlasses: WM 2022 in Katar. Anschließend die Homophobie aufs Trikot setzen, die Rechte von Frauen etc. Stets mit Verweis auf das Turnier. Und wenn man schon zur WM reist: Auch dort sollte einiges möglich sein. Auch wenn die FIFA es verbietet.

 

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