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Fußball

 

Markwart Herzog hat der „Augsburger Allgemeine“ zum Thema „Der FC Bayern in der NS-Zeit“ ein Interview gegeben. Die Zeitung gab mir für eine Erwiderung per Leserbrief genau 660 Zeichen Platz. (In diesem Moment bin ich bereits bei 282 Zeichen angekommen…)

Im Folgenden kommentiere ich einige seiner Antworten.
 

„Augsburger Allgemeine“: Der FC Bayern lässt jetzt seine Geschichte während des Nationalsozialismus vom Münchner Institut für Zeitgeschichte untersuchen. Daran sind Sie nicht ganz unschuldig.

Markwart Herzog: Das ist eher untertrieben.

Kommentar: Herr Herzog wirft mir vor, ich würde ihn beleidigen. Ich würde ihm nämlich Eitelkeit und Hochstapelei unterstellen. Nun, seine Antwort gegenüber der „Augsburger Allgemeine“ bestätigt mich: „Das ist eher untertrieben...“ Herr Herzog hat seine Eitelkeit mal wieder nicht im Griff. Der Vorschlag, der FC Bayern möge seine NS-Zeit vom IfZ untersuchen lassen, stammt im Übrigen nicht von Herrn Herzog, sondern von Prof. Dr. Lorenz Peiffer. Und wurde dem Klub erstmals im Mai 2016 vorgeschlagen. Dass man diesem Vorschlag folgen würde, stand ziemlich schnell fest, was auch Herzog weiß. Allerdings dauert es in einem Klub von der Größe des FC Bayern, bis auch die letzte Unterschrift geleistet ist.

Und wenn Herr Herzog behauptet, erst er habe die „Arierparagrafen“ des FC Bayern entdeckt, stapelt er natürlich hoch.

 

Herzog: Die Macher der "Erlebniswelt", Fanbuchautoren und Journalisten, haben die sporthistorische Forschung souverän ignoriert.

Kommentar: Es ist wohl eher so, dass Herr Herzog die Forschung zum FC Bayern viele Jahre souverän ignoriert hat, weshalb er ständig Dinge als „Enthüllung“ verkauft, die schon lange auf dem Markt sind. Noch 2011 schrieb er forsch: „Der FCB blieb lange auf Distanz zum nationalsozialistischen Regime“. Zuvor hatte der Herzog zutiefst verehrte Nils Havemann geschrieben, dass es die Nazis „nicht schafften, den Club dauerhaft unter Kontrolle zu bringen. Daher konnte noch im November 1937 mit dem Oberlehrer Franz Nußhardt ein Nichtparteimitglied Vereinsführer werden, der die Leitung zwar formal ein Jahr später abgeben musste, aber de facto bis 1943 die Geschicke leitete. Die Verbindung der Bayern zu Landauer blieb eng, auch nachdem der langjährige Präsident enteignet und im Gefolge der Reichspogromnacht für vier Wochen in das Konzentrationslager Dachau eingesperrt worden war.“ Die Autoren Fischer/Lindner wurden damals von Havemann dafür gescholten, dass sie ab 1935 einen zunehmenden Einfluss von Nazis im FCB konstatierten (wie Schulze-Marmeling…). Sie könnten nicht erklären, „warum Nußhardt so lange den Verein führen konnte.“ Folgen wir Herzog, dann hatte sein Havemann seinerzeit eine „Heldengeschichte“ geschrieben - und Herzog hatte sie 2011 nachgeplappert und dabei Schulze-Marmeling glatt überholt.

Im Mai 2016 präsentierte sich Herr Herzog dann mit Hilfe des „Spiegel“ als Entdecker von „Arierparagrafen“ beim FC Bayern, die der Klub allerdings bereits 2013 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte. 2013 wurde auch ihr Wortlaut erstmals veröffentlicht, in der zweiten Auflage meines Buches „Der FC Bayern und seine Juden“, was Herzog aber glatt entgangen war.

Was ich ihm verzeihe. Historische Forschung ist ein Prozess. Da gibt es ständig neue oder vermeintlich neue Erkenntnisse. Das ist manchmal eine ziemlich temporeiche Veranstaltung. Wäre schön, wenn Herr Herzog dies mal begreifen würde, anstatt wild auf die „FC Bayern Erlebniswelt“ und andere einzudreschen. Zumal er ja selber nicht immer up to date ist.

 

Herzog: Die Bayern waren zum Nationalsozialismus distanzierter eingestellt als etwa die Sechziger, die schon im Frühjahr 1933 sämtliche „Nichtarier" ausschlossen. Aber im Unterschied zu den Bayern waren die Sechziger dazu gezwungen, weil sie in der Deutschen Turnerschaft organisiert waren, die den "Arierparagrafen" vorschrieb. Dagegen hatte der Deutsche Fußball-Bund, dem der FC Bayern angehörte, seinen Vereinen keinen solchen Paragrafen vorgeschrieben.

Kommentar: Die Bayern waren also zum Nationalsozialismus distanzierter eingestellt als etwa die Sechziger. Nichts anderes wurde von mir behauptet. Allerdings reicht ein kurzer Blick auf das damalige Führungspersonal der „Löwen“, um die Behauptung, der TSV 1860 sei zu seinem „Arierparagrafen“ gezwungen worden, ins Reich der Fabel zu verweisen. Nils Havemann (s.o.) ging sogar so weit, den TSV 1860 als „nationalsozialistischen Vorzeigeverein“ zu bezeichnen. Havemann weiter: „Während der TSV 1860 München vor allem gegen Ende der Weimarer Republik seine völkisch-nationale Gesinnung bei jeder sich bietender Gelegenheit an den Tag legte, beklagte sich Landauer bei der Stadt darüber, dass der Sportplatz an der Dantestraße, auf dem der FC Bayern seine Spiele austrug, für „‘alle möglichen parteipolitischen Veranstaltungen‘ missbraucht werde.“ Musste man Menschen, die eine „völkisch nationale Gesinnung bei jeder sich bietenden Gelegenheit an den Tag legten“, wirklich zu einem „Arierparagrafen“ zwingen?

Und was den DFB betrifft: Herzog verschweigt eine Erklärung des Deutschen Fußball-Bundes und des Vorstands der Deutschen Sport-Behörde vom 19. April 1933, in der es hieß, man halte „Angehörige der jüdischen Rasse, ebenso auch Personen, die sich als Mitglieder der marxistischen Bewegung herausgestellt haben, in führenden Stellungen der Landesverbände und Vereine nicht für tragbar. Die Landesverbände und Vereinsvorstände werden aufgefordert, die entsprechenden Maßnahmen, soweit diese nicht bereits getroffen wurden, zu veranlassen. (…) Diese Bestimmungen sind von den Vereinen sofort zur Durchführung zu bringen. Der Verband wird ebenfalls die entsprechenden Folgerungen ziehen.“ Herzog über die Erklärung vom 19. April 1933 und andere: „Der DFB und die Reichssportführung erließen keine Direktiven, die mit der Rassenpolitik der NSDAP (…) im Einklang standen.“ Oha… Womit wir zum eigentlichen Kern des 2005 von Herrn Herzog ausgerufenen „Historikerstreits“ kommen. Dieser dreht sich nämlich nicht um den FC Bayern, wo Herzog und ich gar nicht so weit auseinanderliegen, jedenfalls die Zeit 1935 bis 1945 betreffend, sondern um die Bewertung der Politik der Verbände und des vorolympischen NS-Staates.

Je länger der Streit andauert, desto mehr scheint sich Herr Herzog zu radikalisieren. Im Mai 2016 schrieb er noch, dass es „die ‚Bayern‘ mit dem ‚Arierparagrafen‘ nicht eilig hatten.“ Dies würde seine „relativ späte Einführung“ beweisen. Der Klub habe sich sogar zunächst über die Anordnungen des DFB und Süddeutschen Fußball- und Leichtathletikverbandes, Juden aus führenden Positionen auszuschließen, „hinwegsetzt“, in dem er Kurt Landauer mit den Posten des Schriftwarts betraute.

Herzog: In der „Erlebniswelt“ wird behauptet, dass erst 1943 „ein Wunschkandidat des Regimes an die Spitze des Vereins" gelangt sei. Dabei hatte schon Jahre vor Eröffnung der „Erlebniswelt" der Sporthistoriker Nils Havemann herausgefunden, dass bereits 1935 ein NSDAP-Mitglied dem Verein vorgestanden hatte.

Kommentar: Dass beim FC Bayern von 1935 bis 1937 ein NSDAP-Mitglied an der Spitze stand, wurde bereits in diversen Publikationen erwähnt. Von mir u.a. 2011, 2013, 2017. Nils Havemann, dem Herzog diese Entdeckung fälschlicherweise zuschreibt, hat diesen „Vereinsführer“, Dr. Richard Amesmeier, allerdings eher entlastet (s.u.). Und dass es im FC Bayern bereits vor 1933 Nazis gab, konnte man bei mir bereits 2011 lesen.

Noch einige Sätze zu Richard Amesmeier: Im Unterschied zu den „Vereinsführern“ der „Sechziger“ war Amesmeier keine lokale Nazi-Größe. Im April 1939 meldete er sich von der SA ab und begründete dies mit familiären Problemen, der Abwicklung eines Nachlassgeschäftes und „schmerzhaften Neuralgien, die mich oft über mehrere Stunden vollkommen arbeitsunfähig machen“. Zuvor war einem SA-Standartenführer aufgefallen, dass Amesmeier „trotz wiederholter Aufforderung weder an einem sonstigen Einsatzdienst der SA noch an einem Kameradschaftsabend der Standarte teilgenommen« hatte. Da Amesmeiers SA-Austritt einige Monate nach der Inhaftierung Landauers erfolgt, gelangt Nils Havemann zu der Einschätzung, dass „das Erleben der nationalsozialistischen Verbrechen an dem beliebten Landauer bei einem exponierten Bayern-Mitglied trotz anfänglicher Sympathie für die Nationalsozialisten zu einer erkennbaren Distanzierung vom Hitler Regime“ geführt habe. Ebenfalls im April 1939 stellte der Arzt Kurt Landauer das für die Emigration in die Schweiz erforderliche Gesundheitszeugnis aus. Landauer-Biograph Dirk Kämper: „Für einen Juden in München Anfang 1939 eine hohe Hürde, denn Juden werden von Nicht-Jüdischen Ärzten prinzipiell nicht mehr behandelt. Dass Landauer dieses Zeugnis ausgerechnet vom SA-Mitglied Dr. Richard Amesmeier bekommt, überrascht. Selbst – oder gerade wenn – man bedenkt, dass Amesmeier von 1935 bis 1937 Landauers Nachfolger auf dem Stuhl des Bayern-Präsidenten ist. Ein – zumindest vermeintlich - linientreuer Nazi also. Dass Amesmeier just nach diesem ‚Freundschaftsdienst‘ an Landauer aus der SA austritt, mag da kaum noch als Zufall zu bewerten sein.“

Amesmeier stand dem FC Bayern zwei Jahre vor. Folgen wir Havemann, dass Amesmeier Nachfolger Nußhardt de facto bis 1943 regierte, dann war Amesmaier in den zwölf Jahres des Nationalsozialismus‘ das einzige NSDAP-Mitglied an der Spitze des Klubs.

 

Herzog kritisiert an der Ausstellung „Verehrt, verfolgt, vergessen“, dass diese eine „systematische Diskriminierung" des FC Bayern in der Nazi-Zeit behaupte.

Kommentar: Die Frage ist, was man unter einer „systematischen Diskriminierung versteht. (Ich würde den Begriff auch nicht benutzen.) Unbestritten ist, dass der Verein unter dem staatlichen Antisemitismus sportlich und finanziell gelitten hat (Verlust des Präsidenten, Meistertrainers, jüdischer Sponsoren). Unbestritten ist, dass der TSV 1860 bei der braunen Stadtregierung die besseren Karten besaß und bei seinem Werben um Privilegien auch auf die jüdische Vergangenheit des Lokalrivalen verwies – mit Erfolg. So schreibt Nils Havemann (s.o.) über Emil Ketterer, den Vorsitzenden des TSV 1860, dieser habe im Februar 1941 voller Stolz auf die Tradition seines Klubs verwiesen, „in dem die Juden‚ im Gegensatz zu anderen Vereinen‘, womit er vor allem den Lokalrivalen Bayern München meinte, ‚nie hoch‘ gekommen seien. (…) Aufgrund der Vereinstradition und Ketterers Vergangenheit genoss der TSV 1860 München vor allem nach der Zäsur von 1936 zahlreiche Privilegien.“ Und der FC Bayern? Als der Klub im März 1944 die südbayerische Meisterschaft gewann, schlug Ludwig Behr, Leiter des Stadtamts für Leibesübungen, dem Oberbürgermeister Fiehler eine Ehrung der Meisterelf vor– ähnlich der, die der TSV 1860 ein Jahr zuvor erhalten hatte. Als Präsent gab es von der Stadt lediglich ein im Stadtamt abzuholendes Buchgeschenk. Vorjahressieger 1860 war im Vorjahr mit einer Einladung in das Privathaus des Oberbürgermeisters und SS-Gruppenführers Dr. Fiehler „belohnt“ worden. Begründet wurde diese Handhabe damit, dass der FCB „bis zur Machtübernahme von einem Juden geführt worden ist“, und „bei 1860 andere Beziehungen zur Stadt bestehen durch die Ratsherrn Gleixner und Dr Ketterer.“ Anton Löffelmeier (s.u.) schrieb hierzu: „Die Tatsache, dass der FC Bayern viele jüdische Mitglieder hatte, die teilweise in leitenden Funktionen mitarbeiteten, und dass noch dazu ein Jude jahrelang den Verein geleitet hatte und man sich im März 1933 nicht sofort von ihm getrennt hatte, sollte den Bayern das ganze ‚Dritte Reich‘ hindurch als Makel anhängen."

 

„Augsburger Allgemeine“: Der Lokalrivale TSV 1860 ist in der Aufarbeitung seiner NS-Geschichte schon weiter als die Bayern.

Herzog: Viel weiter. Der Münchner Stadtarchivar Anton Löffelmeier schrieb das Buch „Die Löwen unterm Hakenkreuz", eine vorbildliche, quellengesättigte Untersuchung. In diesem Punkt hinken die sonst so professionellen Bayern den Sechzigern meilenweit hinterher.

Kommentar: Falsch. Anton Löffelmeier hat diese in der Tat vorbildliche Studie – veröffentlicht im Verlag Die Werkstatt – nicht im Auftrag des TSV 1860 erstellt, sondern u.a. auf Anregung der „Löwen gegen rechts“. Weshalb die sonst so professionellen Bayern den Sechzigern nicht meilenweit hinterherhinken können. Anton Löffelmeier hat die Geschichte des TSV 1860 in der NS-Zeit aufgearbeitet – nicht der TSV 1860. Im Übrigen liest sich Löffelmeiers Einschätzung des TSV 1860 etwas anders als die von Herzog.

 

Herzog sagt, wenn ich ihn einer „krankhafter Eitelkeit“ und der „Hochstapelei“ bezeichnen würde, dann wäre dies die Sprache eines „Verlierers“.

Kommentar: Das ist tatsächlich Markwart Herzogs Vorstellung von historischer Forschung. Forschung als Krieg, in dem es nur Gewinner und Verlierer geben darf. Meine Vorstellung ist eine komplett andere. Ich arbeite seit Jahren mit anderen Menschen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, solidarisch zusammen. Man unterstützt sich und man korrigiert sich gegenseitig. Aber man betrachtet sich nicht als einen in „Stahlgewittern“ niederzuringenden Konkurrenten. Schließlich sind wir nicht bei Ernst Jünger.

 

Herr Herzog beklagt, dass ich mich einer Podiumsdiskussion mit ihm verweigern würde. Dies war bislang genau einmal der Fall, hatte aber wenig mit inhaltlichen Differenzen zu tun, sondern mit einer abgrundtiefen Abneigung gegenüber seiner Person und seinen Methoden, was der Veranstalter auch verstand. Ich zitiere aus meiner Begründung: „Seit zwölf Jahren (!!!) spiele ich im Leben des Herrn Herzogs eine große Rolle. Eine unangenehm große Rolle. Seit 2005 gab es kaum eine Tagung, auf der Herzog nicht den Namen Schulze-Marmeling erwähnte – auch wenn das Thema der Zusammenkunft von meinem Schaffen meilenweit entfernt war. (Und Schulze-Marmeling auf keiner dieser Tagungen anwesend war.) Es floss kaum ein Aufsatz aus seiner Feder, in dem es nicht auch um meine Person ging. (…) Auffallend auch, wie Herr Herzog mir thematisch zu folgen versuchte. (…) Wenn man unter Stalking ein obsessives und unnormal langes Muster der Beschäftigung mit einer Person und eine Verhaltenskonstellation versteht, in der eine Person der anderen wiederholt unerwünschte Kommunikation oder Annäherung aufzwingt, dann betrachte ich dies im Falle des Verhältnisses von Herzog zu mir als gegeben. (…) ICH werde für Herzog bis an dessen Lebensende ein Thema bleiben – völlig unabhängig von meinem eigenen Verhalten, wie die vergangenen acht Jahre bewiesen haben. Herzog kann nicht anders. Ich sehr wohl. (….) Würde meine Frau Tag und Nacht an mich denken und mir hinterherspionieren, ich fände es schön! Es wäre ein Indiz für tiefe Zuneigung. Nun tut sie dies aber nicht. Wohl aber Herr Herzog. Das fühlt sich nicht wirklich schön an.“

Ganz abgesehen davon: Der „Spiegel“, Herzogs Medienpartner, hat es bis heute nicht für nötig erachtet, seine Kritiker zu befragen. Zu Wort kommen lediglich Personen aus Herzigs Dunstkreis. Kritische Leserbriefe zu seinen „Enthüllungen“ wurden nicht veröffentlich. Dass das ohne sein Zutun geschieht, sollte man nicht glauben.

Die Geschichte des FC Bayern in der NS-Zeit ist wesentlicher komplexer, als sie von Herrn Herzog dargestellt wird. Wie komplex sie ist, das kann man meinem Buch „Der FC Bayern, seine Juden und die Nazis“ (Oktober 2017) entnehmen.

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