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Szenen einer „absurden Huldigungsshow“ („Süddeutsche Zeitung“): FIFA-Boss Gianni Infantino: „Alle, die mich lieben, ich weiß, das sind viele, und alle, die mich hassen, ich weiß, es gibt da ein paar – ich liebe euch alle.“ Daraufhin Fifa-Generalsekretärin Fatma Samoura untertänigst: „Wir lieben Sie, Mr. President.“

Mensch fragt sich: Haben die beiden noch alle Latten am Zaun? Wie nennt man dieses Paralleluniversum, in dem sich Infantino, Samoura und die Masse der FIFA-Delegierten aalen? Und: Glaubt Gianni Infantino, er sei Jesus? (Wobei Jesus wohl weniger selbstverliebt war.)

So ein FIFA-Kongress ist eine totalitäre Veranstaltung, nur dass es hier schwülstiger zugeht als bei einem Parteitag der KPs in China und Nordkorea. Es gab nicht einen Wortbeitrag eines Delegierten, „zu keinem der vielen Skandale. Und beim einzigen theoretisch leicht brenzligen Thema wandte die Fifa-Führung die bewährte Abmoderierungsstrategie an“ („Süddeutsche Zeitung“).

DFB-Präsident Bernd Neuendorf hat sich der Akklamation enthalten – immerhin. Vermutlich wird man nun Neuendorf wieder vorwerfen, er habe den DFB isoliert. Wie bereits in der Debatte um die One Love-Binde, die zunächst zu wenig Haltung war, dann aber zu viel Haltung, weil die DFB-Elf vorzeitig ausschied und sich Häme über Verband und Elf ergoss. Plötzlich ging es nicht mehr um den Inhalt und die Gründe für den Protest. Häme ergoss sich auch über die Innenministerin, zuletzt noch aus dem Munde von Rudi Völler, der Menschenrechtsdebatten im Fußball für Firlefanz hält. Von wegen, der Rudi sei unpolitisch.

Haltung ist nicht sonderlich populär. Mit Haltung kann mensch nichts gewinnen, heißt es mehr oder weniger unausgesprochen. Schon gar nicht in der Welt des Fußballs.

Während der #boycottqatar2022-Kampagne wurde uns vorgeworfen, wir seien „Moralisten“. Kritik an „Moralisten“ und „Moralistinnen“ gab es schon vor dem Start der Kampagne. Ihr inflationärer Gebrauch korrespondierte mit dem Aufstieg der AfD und anderer rechter Kreise. Keine Partei agitiert so vehement gegen „Moralisten“ und für eine „neue Empathielosigkeit“ wie die AfD. Die konservative (!) Publizistin Liane Bednarz schrieb vor einiger Zeit: „Von der Diskursverschiebung gen rechts, vor allem der Ausweitung der Zone des Sagbaren war schon viel die Rede. Neu aber ist, dass die Lust an der pauschalen Verächtlichmachung der Moral inzwischen auch Teile der etablierten Politik und der Medien erreicht hat. Alles, was auch nur nach Moral klingt, ist in manchen Kreisen mittlerweile verdächtig und wird ohne Unterlass gebasht. Begriffe wie ‚Humanitarismus‘, mit dem das Humanitäre pauschal verächtlich gemacht wird, ‚Moraldarsteller‘, mit dem man sich zum Beispiel über Leute lustig macht, die für die auch private Seenotrettung von Flüchtlingen eintreten, sind ebenso an der Tagesordnung wie die neuen Modewörter ‚Hypermoral‘ und ‚Moralismus‘. Ganz besonders beliebt ist es auch, sich selbst als Vertreter einer harten Haltung in der Flüchtlingsdebatte in Szene zu setzen und, noch mehr, als ‚Verantwortungsethiker‘ zu feiern, um zugleich auf alle anderen, die auch nur etwas Empathie zeigen, als vermeintlich naive Tölpel und vor allem Verfechter einer ‚Gesinnungsethik‘ herabzusehen.“

Im „Kicker“ schreibt Rainer Franzke, dass sich angesichts des Interesses des DFB, die WM der Frauen 2027 gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden auszurichten, „im Grunde große Konflikte mit Infantino verbieten“ würden. Wenn man es mit der Kritik an Infantino auch nur halbwegs ernst meint, ebenso mit Menschenrechten und Anti-Korruption etc., dann verbietet sich vor allem eines: den Bückling zu machen. Was ist das für eine Denke? Wo es doch (sorry!) nur um Fußball geht? Mit dieser Denke verbietet sich auch Kritik an der Diktatur in China (wg. Handel) und dem Putin-Regime (wg. Öl und Gas). Und natürlich auch Kritik am Investment der Saudis in der Premier League, auch wenn das Regime periodisch öffentliche Massenhinrichtungen veranstaltet und auch schon mal einen Journalisten zersägt – schließlich ist es ein Investment „For the Good of the Game“. Newcastle United, viele Jahre von den Klubs aus London und dem Nordwesten der Insel gedemütigt, steht in der Tabelle auf Platz fünf und avanciert zu einem ernsthaften Herausforderer von Manchester City, Chelsea etc. Die Premier League wird noch spannender! Dank des saudischen Geldes.

Das alles erinnert ein bisschen an die deprimierende Haltung von Bewohnern eines sizilianischen oder kalabrischen Dorfes, das sich fest in der Hand eines Mafia-Bosses befindet. Über den man aber kein kritisches Wort verliert, obwohl er ein Killer ist und den Drogenhandel kontrolliert. Aber der Boss hat auch eine wohltätige Seite: Er spendet für den Bau einer neuen Schule und verschafft Menschen Arbeit.

Eine Mischung aus Gier und Phantasielosigkeit treibt Klubs und Verbände quasi zwangsläufig in die Arme von Diktatoren und Autokraten und an deren Geldtöpfe. Alle Jahre wieder steht das „Geschäftsmodell“ auf der Kippe – die Anführungszeichen deshalb, weil es ein ziemlich hirnrissiges Modell ist, in dem ständig überinvestiert wird (Stichwort „Rattenrennen“). Die Lösung lautet stets: „Wir müssen neue Geldquellen finden – Super League, China, Golf-Region…“ Mehr fällt vielen Klubs und Verbänden nicht ein. Um Gier und Phantasielosigkeit zu kaschieren, behauptet man irgendwelche „Nachhaltigkeitskonzepte“, die sich bei einem näheren Hinschauen oftmals als Fake entpuppen.

Sollte sich der DFB in Causa Infantino tatsächlich isolieren, wäre dies wenigstens mal eine Haltung. Jammern sollte der DFB aber auch nicht. Das System FIFA wurde mit Hilfe von Adidas (Horst Dassler) und dem DFB errichtet. Funktionäre wie Franz Beckenbauer, Rainer Koch und Peter Peters sind in diesem jahrelang mitgeschwommen. Hier gilt es verbandsintern einiges aufzuarbeiten.

PS: Ich bin tatsächlich der Meinung, dass Gianni Infantino nicht alle Latten am Zaun hat. (Woran die Politik eine Mitschuld trägt, aber das ist ein anderes Thema.) Letzteres ist zwar Grund genug, ihm die Stimme zu verweigern, aber leider ist dies nur das geringste Problem.

 

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